History never dies

9. November 2009

Das Entsetzliche an dem Furchtbaren, dem Unbegreiflichen - genauer der Unmenschlichkeit, ist gerade das Wissen um den ursächlichen Kern, nämlich den, daß das Unbegreifliche nicht unbegreiflich ist.

Daß das Böse, das Monströse existiert, auch heute, unverändert, überall und allerorten ist eine Tatsache, ist ein Bestandteil der menschlichen Natur, und das obgleich kein Mensch von Natur aus böse ist, in dem Sinne, daß jeder Mensch zunächst, also jedes neugeborene Lebewesen unschuldig, wahr, gut und rein ist. Kein Kind, kein Mensch, nirgends, wird böse geboren, er wird dazu gemacht. Und hierin begründet sich das fundamentale Menschheitsproblem, vielmehr noch die größte aller Sinnfragen: Warum gelingt es nicht, bis heute nicht, das Böse zum Erlöschen, zum Verschwinden zu bringen? Das Destruktive ist ein Wesenszug, ein psychologisches Element der menschlichen Seele, bei dem ein Funke nur genügt, und es kann sich vernichtend, zügellos, unbeherrschbar entladen.

Umso mehr haben wir die Pflicht, die unabdingbare Aufgabe, uns dem Destruktiven, der Dystopie zu stellen, entgegenzustellen und das immer und immer wieder. Heilung, Befreiung und schließlich Erlösung, sind ein Prozess, der, nach sich selbst immer wieder inFrage stellender,  kritischer Reflexion verlangt. Wer sich selbst, der kritischen und radikalen Selbstreflexion aus dem Wege geht, vermeidet, bzw. flüchtet vor sich selbst  und damit dem Leben. Das Leben ist kein Vergnügungspark.

Das Destruktive können wir nicht bannen, in dem wir es nach außen verlagern, es bei anderen entdecken und benennen. Die fundamentale und in sich absolute Prämisse, um der Bösartigkeit Herr zu werden, ist  nicht im "Dachboden" des Intellekts nach Ursachen zu suchen, sondern  in den "Keller", das Dunkel des Verborgenen einer jeden Seele hinabzusteigen, und den Mut zu haben, das, was uns selbst fürchten läßt, anzusehen und zu verstehen, "sinnlich zu begreifen", dann kann man, das Niederste, was in jedem Menschen, mehr oder weniger, unbesehen, also verdrängt, lagert, bannen, gar verbannen, auf immer - sofern, und das ist der Prozess, man sich immer be- und hinterfragt. Das Leben ist kein Vergnügungspark, soll und darf es nicht sein. Solange wir uns Glitter und Tand in die Augen streuen, darüber juchzen, daß allein das Hier und Jetzt zählt, Gedankenlosigkeit und Ablenkung als Wert an sich zelebrieren, "think positive" als Legitimation dafür verstehen, gar nicht mehr nachzudenken, nicht mehr lernen zu wollen, die glitzernden Seifenblasen für die ersehnte Sphäre des eigenen Seins halten, ist das Leben ein Scheinleben.
Solange die Menschen die Erinnerung, das Gedenken an die Grausamkeiten der Geschichte, wie ein Souvenir, eines längst vergessen Aufenthaltes an einem fremden, fernen Ort, in die Vitrine stellen, gelegentlich den Staub wegwischen, und sich in großen Abständen - weil es die Konvention verlangt - die Schranktüren öffnen, um  sich das Gewesene, wie eine Verdinglichung, einen Gegenstand, anzusehen, letzlich nur, um dadurch, dem sich selbtentfremdeten Schuld-Pflichtgefühl, dem schlechten Gewissen über das verlorengegangene Mitgefühl zu entgehen, kommen wir, kommt die Menschheit, keinen - konstruktiven - Schritt weiter.

Die Erinnerung, die Schuld und die Scham sind keine Materie, die wir mal annehmen, dann wieder ablegen können. Die Seele, die Sphäre, in der das Beste und auch das Schlimmste in uns, sich auf immer befinden, ist der jeweils einmalige Atem, gewissermaßen der Luftraum eines jeden Individuums. Wenn, wie Freud es sagte "der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist", dann ist es mehr denn je Aufgabe eines jeden, sich sorgfältigst und hingebungsvoll der Wohnstätte seines Seins, seiner Seele, seines Intellekts zuzuwenden.

Die Verdrängungskultur, die sogenannte Kultur des Wegschauens, die ekelhafte Angewohnheit des tumben Gaffens, mit andern Worten: Ignoranz (gleich Unwissenheit bzw. Nicht Wissen Wollen) ist  der wahre Mörder der Menschlichkeit. Nur, wer sich selber nicht ignoriert, den Verführungen der omnipräsenten Ablenkungs - das heißt Entfremdungsmanövern unseres  sogenannten "Zeitgeistes" widersteht und  durch sich selbst lernt, erst auf sie verzichten zu wollen um sie schließlich abzulehnen, hat die Chance bei sich selbst anzukommen und damit auch bei seinem Nächsten. Dann, und nur dann, besteht die Chance, daß die Menschen in sich und miteinander den Ort des Friedens finden, den Ernst Bloch im Prinzip Hoffnung "Heimat" nannte .

"Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat", Ernst Bloch, "Das Prinzip Hoffnung".


Hoffnung, Menschlichkeit und Frieden sind keine Utopie. Auch das hat die Geschichte bewiesen, das Wahre, Gute und Schöne existiert - vereinzelt und gelegentlich.
Es liegt an uns ob wir daran arbeiten wollen, daß dies nicht die Ausnahme-Momente unserer Geschichte bleiben.


C.S. Bernays  9. November 2009